Im Gespräch mit: Harald Eitge

Nachrichten aus der Region

15.11.2017

Nach fast zehn Jahren zieht sich Harald Eitge als Chef der Arbeitsagentur Braunschweig-Goslar zurück. An Ruhestand denkt er aber noch lange nicht, vielmehr widmet er sich einer neuen, umfassenden Aufgabe. Als Geschäftsführer bei Kämmer Consulting GmbH wird er sich künftig für eine stärkere Verzahnung von Wirtschaft und Wissenschaft in der Region einsetzen und hat bereits konkrete Konzepte im Kopf.

In den Räumlichkeiten, wo vor 39 Jahren seine Karriere bei der Arbeitsagentur begann,  treffen wir nun also den scheidenden Chef Harald Eitge. Auf seine Zeit als Leiter in Braunschweig blickt er im Gespräch durchaus stolz zurück und das Image der Behörde sowie die Vernetzung in die Region geben ihm jedes Recht dazu. Beim Start vor 9,5 Jahren haben ihm diese Erfolgsgeschichte nicht alle zugetraut, zumindest hatte Eitge einige Kämpfe auszutragen, denn am Anfang hat man ihn in Braunschweig so überhaupt nicht gewollt.

Volle Breitseite

Eitge erinnert sich mittlerweile schmunzelnd an seinen nicht ganz leichten Einstand in Braunschweig. Als der Ur-Braunschweiger aus Nürnberg zurückkehren wollte, kam es zu einem handfesten Streit mit dem Verwaltungsrat der hiesigen Arbeitsagentur. Der damalige Verwaltungsrat unter dem Vorsitz des AGV-Hauptgeschäftsführers Manfred Casper trat aus Protest gegen die Besetzung sogar geschlossen zurück. Ein bis dato einmaliger Vorgang in der Bundesrepublik. Die Hintergründe für die Provinz-Posse von damals? Die Stelle in Braunschweig war eine der ersten, die nach einer großen Reform von Zuständigkeiten in der Bundesarbeitsagentur besetzt wurde. Wo der Verwaltungsrat vor Ort früher selbst über die Besetzung entscheiden konnte, gab es nur noch ein Mitspracherecht. Und selbst das sah man aus Braunschweiger Perspektive bei der Personalie Eitge nicht gewahrt und wehrte sich gegen das Verfahren und auch den Kandidaten. Am Ende einigte man sich auf höchster Ebene mit BA-Chef Weise und Eitge kam nach Braunschweig. „Der Start hätte wirklich leichter sein können“, sagt Eitge heute rückblickend.

Ein Start mit Hindernissen

Als der Braunschweiger im Amt war, wandte sich dann auch relativ schnell das Blatt: „Innerhalb eines Jahres bin ich vom Bösen zum Guten mutiert, obwohl ich mich aus meiner Sicht überhaupt nicht verändert habe“, sagt er heute lachend. Aus den einstigen Gegnern wurden jedenfalls schnell enge Partner – gerade mit AGV-Hauptgeschäftsführer Casper pflegt Eitge bis heute ein sehr gutes Verhältnis. In Zukunft werden die beiden bei Kämmer Consulting GmbH sogar im gleichen Unternehmen arbeiten. Besonders gerne denkt er auch an die vielen tollen Mitarbeiter zurück, mit denen er zusammen so viel bewirkt habe. „Gerade in der Wirtschaftskrise 2009/2010 konnten wir ein echter Anker sein und mit dem Kurzarbeitergeld Massenentlassungen mit verhindern können. Wir waren mal verschrien als Stempelbude und haben nun einen Ruf als Kreativ-Center, ich denke das kann sich sehen lassen. Ich kann sagen: Ich habe Arbeitsagentur gelebt und es hat Spaß gemacht.“

Nach 39 Jahren ist Schluss bei der Agentur

Lange nicht am Ende

Nun schlägt Eitge also ein neues Kapitel auf und will dabei weiterhin die Region unterstützen; mit einem neuen Ansatz sollen mehr Fachkräfte vor Ort gehalten werden. Im Fokus dabei: die Hochschulabsolventen. Immer noch würde man zu viele der Uni-Abgänger verlieren. Gerade für den Mittelstand sei es ungemein schwierig, die Fachkräfte von morgen für sich zu gewinnen, oftmals fehle einfach der Kontakt. „Es gibt momentan einfach kein schlüssiges Konzept, wie KMUs und Studenten zusammen gebracht werden. Das werden wir künftig mit der Kämmer Consulting GmbH ändern“, verspricht Eitge.

Frühzeitig bekannt machen

Wie das konkret passieren soll? „Im Ausbildungsbereich haben wir positive Erfahrungen damit gemacht, dass wir Schüler frühzeitig mit Betrieben in Verbindung gebracht haben. Deshalb die Überlegung, lass uns doch auch Studenten frühzeitig an die Betriebe heranführen.“  Die Idee dazu sei schon in der Zeit als Agenturchef gereift, aber der richtige Ort für so ein Projekt sei die Arbeitsagentur nicht wirklich. „Erst einmal kann die Arbeitsagentur so etwas nicht selbst machen, zudem sehen viele Studenten das Amt auch nicht als Ansprechpartner für sich, die Vorurteile sind da immer noch da.“ Also fand Eitge mit der NBank einen finanziellen Partner und mit Kämmer Consulting den passenden Träger.  „Schon war ich bei denen mit im Boot“, sagt er augenzwinkernd.  „Dann haben wir schnell gemerkt, dass sich aus dieser Idee noch viele weitere Symbiosen und Themenfelder aufbauen und ich diese optimal bekleiden kann. So bin ich dann vom Projektleiter in die Geschäftsführung eingestiegen, die seit August 2017 nun bei mir verankert ist.“

Neue Ideen im Blick

Das neue Projekt wird künftig den Namen „High Potentials“ tragen. Es müsse das Ziel sein, mehr Abschlussarbeiten in die Betriebe der Region zu bekommen, um die Kontakte frühzeitig herzustellen, auch wenn dies mit Mehrarbeit für alle Seiten verbunden sei. „Hier haben wir sicherlich noch einiges an Potenzial. Bisher ist eher ein Flickenteppich in diesem Bereich vorhanden, wir wollen alles aus einer Hand bieten, dazu gehört die Personalberatung, die Personalvermittlung und auch eine eigene Praktikumsbörse.“ Dabei sollen auch Quereinsteiger, zum Beispiel aus dem geisteswissenschaftlichen Bereich im Fokus stehen. „Um dem Fachkräftemangel zu begegnen, sollten die Unternehmen alle Möglichkeiten ausschöpfen“, findet Eitge. 

Der Region verbunden

Warum er sich das alles noch antut? „Ich will mit diesem neuen Zweig auch etwas für die Region tun, Fachkräfte zu uns locken und hier behalten, das muss unser Ziel sein und war immer mein Anspruch. Ich engagiere mich seit vielen Jahren in diesem Bereich und das wird auch mit meinem Wechsel nicht aufhören. Ich finde, ich habe hier einfach noch ein Feld zu beackern und will auch etwas zurückgeben.“

Und die Situation am Arbeitsmarkt?

Eitges Nachfolger bei der Arbeitsagentur wird Gerald Witt, der bisher in Wolfsburg tätig war, als Vertreter wird Salvatore di Benedetto tätig sein. Aus Sicht des scheidenden Chefs gestalten sich die Zukunftsaufgaben für die beiden vielfältig. „Es gibt sicher zwei Seiten der Medaille, wir haben die gut Qualifizierten, die nur kurz bei der Agentur sind und dann weitervermittelt werden, aber es gibt eben auch diejenigen, für die es jahrelang keine Perspektive gibt. Nach einer gewissen Zeit ist auch keine Weiterbildung mehr möglich, was machen wir dann mit diesen Personen? Ich plädiere dafür, dass man in diesem Bereich einen gewissen zweiten Arbeitsmarkt schaffen sollte“, erklärt Eitge seinen Ansatz. „Lasst diese Menschen einen Job machen, der vielleicht unternehmerisch nicht mehr finanzierbar ist, gesellschaftlich aber dennoch eine Bedeutung hat. Wir alimentieren Menschen die nichts tun haben, das ist für beide Seiten kein erstrebenswertes Szenario. Immer mehr Jobs werden durch die Digitalisierung verloren gehen, dafür muss man neue Ideen entwickeln, warum also nicht bestimmte Stellen subventionieren“, er hoffe sehr, dass sich dort etwas tue. In diesem Zusammenhang bemerkt er, dass sich auch der Beratungsbedarf für Kämmer Consulting grundlegend ändern wird. „Wir müssen in jedem Fall einen Digitalisierungsschwerpunkt aufbauen. Wie die Unternehmen mit den veränderten Rahmenbedingungen umgehen, wird zentral für den Erfolg der ganzen Region sein, da wollen wir einen Beitrag leisten.“

Eine weitere große Aufgabe sieht er in der Integration der Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt. „Leider sind viele von ihnen nur sehr gering qualifiziert, gerade in Salzgitter haben wir einen Hotspot, wo sehr viele Flüchtlinge vor Ort sind, die häufig keine Perspektive haben.“ Hier habe man eine Riesenaufgabe vor sich. Eitge wird dafür nicht mehr als Ratgeber in der Arbeitsagentur zugegen sein, er widmet sich nun ganz seiner neuen Aufgabe…