Im Gespräch mit... Rifat Fersahoglu-Weber

Neues aus unseren Mitgliedsunternehmen

19.03.2018

Bald 4.000 Mitarbeiter und rund 6.000 Mitglieder, erstes landesweites Innovationslabor für neue Dienstleistungen; ein empathischer Chef, der maßgeblich an der Gründung des Europäischen Arbeitgeberverbandes in der Sozialwirtschaft in Brüssel beteiligt ist – Elke Fasterding traf Rifat Fersahoglu-Weber, den Vorstandsvorsitzenden der AWO zum Gespräch.

 

In Querum – unspektakulär im ersten Stock eines Gebäudes – liegt sein Büro. Und das ist auch Teil seines Selbstverständnisses. „Ich will mittendrin und ganz nah am Menschen sein“, sagt der in Salzgitter geborene bekennende Europäer. „Ich will mit meinen Stabsstellen zusammensitzen. Wir arbeiten nicht nur online – wir gehen noch in Büros“, ergänzt er schmunzelnd.
Der Diplom –Sozialarbeiter und Betriebswirt ist sozusagen innerhalb der AWO groß geworden. Erste Berührungspunkte gab es schon im Alter von 16 Jahren bei der Hausaufgabenhilfe, die er als Schüler gab. Der Traumjob „Der Reiz besteht darin, ein wertegebundenes Unternehmen mit einer fast 100jährigen Geschichte zu führen. Das ist eine spannende Herausforderung“, so Fersahoglu-Weber. Und er kann damit auch sein Hobby – die Politik, verbinden.

 

Die AWO ist Marktführer in der Region im Bereich der stationären Altenpflege. Der Erfolg basiert auf der Qualität der Dienstleistungen, aber auch immer wieder auf innovativen Dingen. So ist der AWO Bezirksverband Braunschweig bundesweit in der Sozialwirtschaft der Erste, der ein Innovationslabor umsetzt. Ein klares Signal von Fersahoglu-Weber, der neben den betriebswirtschaftlichen Kennzahlen auch die Innovationskraft der AWO im Blick behalten möchte. Ein Forum aus 150 Arbeitnehmern bewertete die Ideen von 12 Teams aus der Belegschaft. Erstmals kamen Methoden des Design-Thinkings zum Einsatz und die besten Ideen werden nun im Innovationslabor weiterentwickelt. Was die AWO von anderen Wirtschaftsunternehmen unterscheidet: Niemand erhält Anteile, eine Ausschüttung oder ähnliches – was erwirtschaftet wird, wird reinvestiert. Fersahoglu-Webers entscheidende Kennzahl: 3% Rendite müssen erwirtschaftet werden, um für die Zukunft investieren zu können.

 

Das Gewinnen von Fachkräften aus dem Ausland

Neben der stetigen Innovationsentwicklung sieht der AWO Chef vor allem Handlungsbedarf in der Fachkräftegewinnung – ein Megathema gerade im Pflegebereich. Aktuell findet ein Projekt statt, um Fachkräfte aus dem Vietnam gewinnen. In der sozialen Arbeit ist Sprache ein ganz entscheidender Erfolgsfaktor. Die AWO hat sich mit der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit ausgetauscht. In Hanoi wurde das Goethe – Institut eingeschaltet und es gab ein Programm zur kulturellen Begleitung in Braunschweig für die Auszubildenden aus Vietnam. Denn manchmal scheitert die Integration in den deutschen Arbeitsmarkt an Kulturunterschieden, die man so gar nicht auf dem Schirm hatte. So berichtet Fersahoglu-Weber, dass man in Vietnam kein Bankkonto hat, auf das das Gehalt überwiesen wird. Bevor die Auszubildenden begannen, haben sie bei der AWO über zwei Monate hinweg ein Kompetenztraining im Umgang mit den unterschiedlichen Kulturen durchlaufen. Die AWO hat in das gute Gelingen dieser internationalen

 

Fachkräftestrategie investiert – mit Erfolg

Diese Sensibilität für unterschiedliche Kulturen und die Begeisterung für Internationalität war auch Treiber für ein anderes Projekt der AWO in der Region. Um gelegentlicher Fremdenfeindlichkeit die Stirn bieten zu können, wollte man der Sprachlosigkeit entgegen treten. Gemeinsam mit der Gesellschaft für Demokratie werden in diesem Jahr freiwillige Schulungen für Mitarbeiter angeboten, um populistischen Parolen entgegen treten zu können und Haltung zu zeigen.

 

Der Vordenker

Seine Woche beginnt bereits Sonntagsabends. Und nicht selten führt ihn seine Arbeit nach Brüssel. Denn für Non profit Organisationen oder soziale Organisationen gibt es eigentlich keinen richtigen Zugang zur EU-Kommission, erfahre ich. In seiner weiteren Funktion als Vorsitzender des Arbeitskreises Europa der Bundesgeschäftsführerkonferenz hat er deshalb Sozialorganisationen aus 9 europäischen Mitgliedstaaten zusammengebracht, um neben wirtschaftlichen Aspekten auch das soziale Europa zusammenwachsen zu lassen. Ein sozialer Dialog findet jetzt dort in Brüssel zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern statt. „Wenn in Spanien nach wie vor eine so hohe Jugendarbeitslosigkeit besteht, wird man auch in Deutschland nicht daran vorbei kommen, Verantwortung zu übernehmen“, sagt Fersahoglu – Weber überzeugt.

 

Der Arbeitsstil

Er hat eine Vielzahl von Funktionen inne und wiegelt charmant ab, wenn man dafür Bewunderung ausspricht. „Man braucht ein hohes Engagement und ein tolles Team. Ich habe in den letzten Jahren gelernt, nicht mehr operativ so viel einzugreifen. Ich kann nicht sagen wie viele Stunden ich in der Woche arbeite. Das geht alles ineinander über. Es ist eine Frage der Selbstorganisation“, so Fersahoglu-Weber. „Ich kriege jede Woche tonnenweise Postmappen und werde auch mit Mails zugeschüttet. Ich arbeite sehr konzentriert. Ich habe mal gelernt: Man nimmt einen Vorgang nur einmal in die Hand. So arbeite ich bis heute. Ich mache die Mappe auf und entscheide. Ich nehme das Papier nicht zweimal in die Hand. Es ist besser schneller zu handeln als zögerlich zu sein.“

Meine Lieblingsfrage

Meine Lieblingsfrage, mit welcher Person – lebend oder tot – er gerne mal eine Tasse Kaffee trinken würde, beantwortet Fersahoglu-Weber spontan mit: „Willy Brandt. Er war in einer ganz besonderen Position, hat viel geleistet und war als Mensch bestimmt schwierig. Er hatte den Blick, sich zu öffnen und Feindbilder abzubauen.“