Bei der Entgeltfortzahlung „sparen“

Die AGV-Rechtstipps

06.02.2019

Wird der Arbeitnehmer nach wiederhergestellter Arbeitsfähigkeit erneut krankheitsbedingt arbeitsunfähig, ohne dass ihn ein Verschulden trifft, entsteht nach § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG grundsätzlich ein neuer Anspruch auf Entgeltfortzahlung für die Dauer von sechs Wochen, wenn die Arbeitsunfähigkeit auf einer anderen Krankheit beruht.

Dies gilt jedoch nicht uneingeschränkt:

Stellt sich die neue Erkrankung als eine Fortsetzung der früheren Erkrankung dar, weil – trotz verschiedener Krankheitssymptome – die wiederholte Arbeitsunfähigkeit auf demselben nicht behobenen Grundleiden beruht, liegt eine Fortsetzungserkrankung vor. Bei einer solchen ist der Arbeitgeber nach § 3 Abs. 1 Satz 2 EFZG nur dann zur weiteren Entgeltfortzahlung verpflichtet, wenn der Arbeitnehmer vor der erneuten Arbeitsunfähigkeit mindestens sechs Monate nicht infolge derselben Krankheit arbeitsunfähig war (§ 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EFZG) oder seit Beginn der ersten Arbeitsunfähigkeit infolge derselben Krankheit eine Frist von zwölf Monaten abgelaufen ist (§ 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 EFZG). Dieser Regelung dürfte noch weitgehend bekannt sein, da sie sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt.

Unbekannter, weil ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung, ist die von der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bereits 1967 entwickelte sogenannte „Einheit des Verhinderungsfalls“. Nach dem Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalls ist der Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG auf die Dauer von sechs Wochen seit Beginn der Arbeitsunfähigkeit beschränkt, wenn während bestehender Arbeitsunfähigkeit eine neue Krankheit auftritt, die ebenfalls Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat. In diesem Fall kann der Arbeitnehmer bei entsprechender Dauer der durch beide Erkrankungen verursachten Arbeitsverhinderung die Sechs-Wochen-Frist nur einmal in Anspruch nehmen. Ein Arbeitnehmer, der sich zum Beispiel einen Arm bricht und für 5 Wochen arbeitsunfähig geschrieben wird, sich unglücklicherweise in der vierten Woche der „ersten“ Arbeitsunfähigkeit auch noch ein Bein bricht und wegen des Beinbruchs für 7 Wochen arbeitsunfähig geschrieben wird, hat lediglich Anspruch auf eine Entgeltfortzahlung für insgesamt 6 Wochen.

Ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch entsteht nur, wenn die erste krankheitsbedingte Arbeitsverhinderung bereits in dem Zeitpunkt beendet war, in dem die weitere Erkrankung zu einer erneuten Arbeitsverhinderung führt. Das ist anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer zwischen zwei Krankheiten tatsächlich gearbeitet hat oder jedenfalls arbeitsfähig war, sei es auch nur für wenige außerhalb der Arbeitszeit liegende Stunden. Maßgeblich für die Dauer der Arbeitsunfähigkeit und damit für das Ende des Verhinderungsfalls ist die Entscheidung des Arztes, der Arbeitsunfähigkeit – unabhängig von der individuellen Arbeitszeit des betreffenden Arbeitnehmers – im Zweifel bis zum Ende eines Kalendertags bescheinigen wird. Dabei ist es unerheblich, ob das Ende der Arbeitsunfähigkeit auf einen Arbeits- oder arbeitsfreien Tag fällt. Bricht sich also der Arbeitnehmer den Arm und wird für 5 Wochen krankgeschrieben und endet diese Krankschreibung an einem Freitag und bricht sich der unglückselige Arbeitnehmer am darauffolgenden Samstag das Bein, was ihm eine erneute Krankschreibung von 7 Wochen beschert, ist dem Arbeitnehmer auch für den Beinbruch Entgeltfortzahlung von 6 Wochen zu leisten, insgesamt also für 11 Wochen.

Meldet sich der Arbeitnehmer in unmittelbarem Anschluss z.B. an den ausgeschöpften Sechs-Wochen-Zeitraum des § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG erneut mit einer Erstbescheinigung arbeitsunfähig krank, kann der Arbeitgeber mit der Berufung auf den Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalls bestreiten, dass Arbeitsunfähigkeit infolge der „neuen“ Krankheit erst jetzt eingetreten sei. Die Darlegungs- und Beweislast für die Anspruchsvoraussetzungen des § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG trägt – nach allgemeinen Grundsätzen – der Arbeitnehmer. Ebenso wie er für die Tatsache der Arbeitsunfähigkeit als solcher beweispflichtig ist, trifft ihn auch für deren Beginn und Ende die objektive Beweislast. Dabei kann sich der Arbeitnehmer für die Darlegung und den Nachweis von Beginn und Ende einer auf einer bestimmten Krankheit beruhenden Arbeitsunfähigkeit zunächst auf die ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung stützen. Ist jedoch unstreitig oder bringt der Arbeitgeber gewichtige Indizien dafür vor, dass die erneute Arbeitsunfähigkeit auf einer Krankheit beruht, die bereits vor dem attestierten Beginn der Arbeitsunfähigkeit bestanden hat, und zu einer Krankheit, wegen derer der Arbeitnehmer bereits durchgehend sechs Wochen arbeitsunfähig war, hinzugetreten ist, muss der Arbeitnehmer als Voraussetzung des Entgeltfortzahlungsanspruchs den von ihm behaupteten Beginn der „neuen“ krankheitsbedingten Arbeitsverhinderung beweisen. Dafür steht ihm das Zeugnis – also die Aussage vor Gericht – des behandelnden Arztes als Beweismittel zur Verfügung.

(vgl. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 25.5.2016, 5 AZR 318/15) von Martin Peßara